Weibliche Genitalverstümmelung stoppen

Das Kinderhilfswerk Eine Welt e.V. (KHW) engagiert sich seit vielen Jahren für die Rechte von Mädchen und Frauen. Dieser Artikel befasst sich mit einer besonders schweren Form der Verletzung dieser Rechte, von der jedes Jahr etwa vier Millionen Mädchen weltweit akut bedroht sind. Überall auf der Welt gibt es deshalb Initiativen, die sich um die Abschaffung bemühen. Das KHW verfolgt dafür im Projektland Mali drei Strategien.

Der Artikel enthält themenbedingt Beschreibungen geschlechtsspezifischer Gewalt. Es werden keine Einzelschicksale beschrieben.

Weibliche Genitalverstümmelung: Was ist das?

Laut Weltgesundheitsorganisation bezeichnet der Begriff (engl. Female Genital Mutilation, kurz: FGM) die teilweise oder vollständige Entfernung oder Verletzung der weiblichen äußeren primären Geschlechtsorgane ohne medizinischen Nutzen1.

Der Eingriff wird häufig vor oder mit Eintritt der Pubertät vollzogen und hat keinen positiven Effekt auf die Gesundheit einer Person. Im Gegenteil: Weibliche Genitalverstümmelung kann lebenslange Schmerzen und Traumata verursachen, wobei Folgen und Beeinträchtigungen sich von Frau zu Frau unterscheiden. Etwa ein Viertel aller betroffenen Mädchen überleben den Eingriff nicht oder sterben an Infektionen im Anschluss daran2.

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine Form von physischer und psychischer Gewalt, die sich gegen Personen richtet aufgrund ihres Geschlechts. Sie stellt eine Verletzung ihres Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit dar3.

Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 200 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Tatsächlich dürften es viel mehr Mädchen und Frauen sein, aber aktuell gibt es nur für 31 Länder repräsentative Daten. Jedes Jahr sind etwa 4 Millionen Mädchen von dem Eingriff bedroht. UNICEF geht davon aus, dass durch die Corona-Pandemie und damit verbundene Schulschließungen im nächsten Jahrzehnt etwa 2 Millionen Mädchen zusätzlich akut gefährdet sein könnten4.

NGOs, Frauenärzt*innen und lokal aktive Frauenrechtsaktivist*innen kämpfen auf verschiedenen Ebenen auf der ganzen Welt für die Ächtung und ein Ende dieser frauenfeindlichen Praxis. Die Vereinten Nationen haben es sich im Rahmen der Strategie für nachhaltige Entwicklung (SGD) zum Ziel gesetzt, dass weibliche Genitalverstümmelung und Früh- und Zwangsverheiratung bis 2030 weltweit geächtet und beendet werden5.

Vier Formen

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung werden die äußeren primären Geschlechtsorgane (lat. vulva) teilweise bis vollständig entfernt oder verletzt. Die Weltgesundheitsorganisation unterscheidet vier Hauptformen der weiblichen Genitalverstümmelung1.

Typ I: Klitoridektomie

Bei der Klitoridektomie wird das Gewebe der Klitoriseichel (glans clitoridis) und -vorhaut (Praeputium clitoridis) zum Teil oder vollständig entfernt oder verletzt.

Typ II: Exzision

Bei dieser Form der FGM werden neben dem äußeren Teil der Klitoris auch die inneren Vulvalippen (labia minora) verletzt oder entfernt. Dabei kann es vorkommen, dass auch die äußeren Vulvalippen (labia majora) verstümmelt werden.

Typ III: Infibulation

Klitoris, innere und Teile der äußeren Vulvalippen werden entfernt. Das zurückbleibende Gewebe wird über der Vagina vernäht oder geklammert und die Öffnung dadurch verengt. Eine kleine Öffnung in dem Narbengewebe bleibt, durch das Urin und Menstruation ausgeschieden werden können.

Typ IV: Sonstige Verstümmelungen

In diese Kategorie ordnet die WHO alle anderen Eingriffe in den weiblichen Genitalbereich ohne medizinische Begründung. Dazu zählt beispielsweise das Auftragen von ätzenden Substanzen, die betäuben oder die Nerven schädigen.

Verbreitung, Motive und Folgen

Eine Verletzung von Mädchen und Frauen, wie die weibliche Genitalverstümmelung sie darstellt, ist immer Ausdruck der sozialen Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Dennoch existiert die Praxis an verschiedenen Orten und kann innerhalb ihrer Kontexte für Menschen eine bestimmte Bedeutung haben.

Verfechter*innen der Praxis berufen sich auf Traditionen, Religion oder ökonomische Motive, um den Eingriff an den Mädchen in einer Gemeinschaft zu erklären. Das Resultat wird mit Reinheit und Hygiene assoziiert, die Heirat einer beschnittenen Frau kann ein höheres Brautgeld für ihre Familie bedeuten. Darüber hinaus gibt es Mythen, die die unbeschnittene Vulva als Gefahr für Leib und Leben der Frau selbst, ihres Sexualpartners oder im Fall einer Schwangerschaft für den Embryo betrachten. Auch vermeintlich religiöse Motive können eine Rolle spielen. Es sind verschiedene soziale und kulturelle Faktoren, die den Fortbestand begünstigen6. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der unbeschnittene Körper eines Mädchens nicht akzeptiert werden kann, in seiner ursprünglichen Form abgelehnt wird und in Orientierung an eine bestimmte Normvorstellung verändert werden muss.

Es gibt jedoch keine Religion, die zur Verstümmelung von Frauen und Mädchen aufruft oder diese Praxis in ihren Schriften rechtfertigt. Es gibt außerdem keinen medizinischen Grund, der diese Art des Eingriffs im Sinne einer Verbesserung des Gesundheitszustands einer Person oder der körperlichen Hygiene rechtfertigt. Tatsächlich sind die negativen Folgen der Verstümmelung vielfältig und häufig irreversibel. Der im Zuge eines Rituals gestaltete und oft ohne Betäubung durchgeführte Eingriff erzeugt heftige Schmerzen und starke Blutungen. Fieber, Wundinfektionen und Schockzustände sind mögliche unmittelbare Folgen. Zu den möglichen langfristigen Folgen für die Mädchen und Frauen zählt die Weltgesundheitsorganisation Probleme beim Wasserlassen, Vaginal- und Menstruationsbeschwerden, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, eingeschränkte Empfindsamkeit, ein erhöhtes Risiko von Komplikationen bei der Geburt eines Kindes, die Notwendigkeit späterer Operationen und psychische Probleme wie Depressionen oder eine posttraumatische Belastungsstörung1.

Gemeinschaften, Gruppen oder Familien, die heute weibliche Genitalverstümmelung betreiben, leben auf verschiedenen Kontinenten verteilt. Zwischen einzelnen Staaten und Kontinenten gibt es hinsichtlich der Zahl der von Genitalverstümmelung betroffenen Frauen Unterschiede. Das Bundesfamilienministerium geht davon aus, dass etwa 67.000 in Deutschland lebende Personen aus verschiedenen Herkunftsländern von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen sind7. Für die gesamte EU gehen Schätzungen von rund 500.000 beschnittenen Frauen aus. In Mali, wo sich das KHW seit 1975 engagiert, waren 2019 über 80% der Mädchen und Frauen betroffen8.

Für 31 Länder in Afrika, dem Nahen Osten, Südamerika und Südostasien gibt es inzwischen repräsentative Forschungen zu dem Thema, auf die sich Daten und Schätzungen über die Verbreitung stützen4. Insgesamt ist das Thema jedoch bislang unzureichend systematisch erforscht, von einer hohen Dunkelziffer an undokumentierten Fällen ist auszugehen.

Weltweite Initiativen gegen weibliche Genitalverstümmelung

Seit 2003 ist der 06. Februar der internationale Tag „Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“. An diesem Tag wird weltweit Aufmerksamkeit für dieses Thema erzeugt mit dem Ziel der Sensibilisierung, Ächtung und Abschaffung. Neben großen Organisationen, die sich für ein Ende der weiblichen Genitalverstümmelung einsetzen, ist die Arbeit kleiner Initiativen und engagierten Einzelpersonen mit Zugang zu lokalen Gemeinschaften bei dieser sensiblen Thematik von großer Bedeutung.

In vielen Staaten ist weibliche Genitalverstümmelung bereits gesetzlich verboten. In Deutschland ist FGM seit 2013 ein Straftatbestand nach dem Strafgesetzbuch7. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es in Liberia, Mali, Sierra Leone, Somalia und Sudan noch keine gesetzlichen Regelungen, obwohl hier viele Menschen betroffen sind9. Ein weiterer geografischer Schwerpunkt liegt in Vorderasien10. Ob gesetzliche Verbote ausreichen, wird von Aktivist*innen vielerorts bezweifelt. In Jemen beispielsweise darf FGM seit 2001 in öffentlichen und privaten Kliniken nicht mehr vorgenommen werden. Anstatt einer Eindämmung folgte eine Verlagerung in private Haushalte ohne medizinisches Personal. Bis heute versucht die Regierung sich hier gegen lokale Autoritäten durchzusetzen.

Ausschlaggebend für das Risiko eines Mädchens, von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen zu sein, ist aber nicht allein ihr Geburts- oder Wohnort, sondern vor allem die Zugehörigkeit zu einer patriarchal strukturierten sozialen Gruppe oder Ethnie, in der die oben beschriebenen kulturellen und sozialen, misogynen (frauenfeindlichen) Rechtfertigungsmuster Gültigkeit besitzen. An diesen Mustern setzen auch die Initiativen an, die sich für eine wirkungsvolle Politik gegen die Verstümmelung einsetzen. Weitere wichtige Faktoren sind Bildung und ökonomischer Status.

Bildung und Aufklärung: das Kinderhilfswerk Eine Welt in Mali

Unser Verein kämpft in Mali seit vielen Jahren gegen die Genitalverstümmelung junger Mädchen und gegen die Diskriminierung von Frauen. Dabei verfolgen wir konsequent drei Strategien:

Stärkung lokaler Organisationen

Wir unterstützen in Mali die APDF, die Vereinigung für den Fortschritt und die Verteidigung der Frauenrechte. Dort sind etwa 35.000 Frauen im Kampf gegen die Genitalverstümmelung organisiert. Sie betreiben Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen: bei den Familienoberhäuptern, den Dorfchefs, dem Imam – bis hin zur Lobbyarbeit in der Afrikanischen Union. Mit Spenden werden z.B. landesweit pädagogische Theatergruppen aufgebaut, die in den Dörfern effektiv Aufklärungsarbeit leisten.

Das KHW unterstützt konkret eine APDF-Kindertagesstätte in der malischen Hauptstadt Bamako, in dem Mädchen und Jungen gleichberechtigt erzogen werden.

Aufklärung in den Gesundheitszentren

Die von uns gebauten Gesundheitszentren in Mali bieten nicht nur Geburtshilfe, medizinische Grundversorgung oder Impfschutz für die Kleinsten, sondern auch eingehende soziale Beratung. Pflegerinnen und Ärzte sind eigens darin geschult, Frauen aus den umliegenden Dörfern über die Gefahren der Beschneidung ihrer Töchter aufzuklären.

Mit Ihrer Spende helfen Sie dabei, in unseren Gesundheitszentren die Aufklärungs- und Beratungsangebote für Frauen weiter auszubauen.

Schulbildung für Mädchen

Das entscheidende Mittel im Kampf gegen die Genitalverstümmelung sind selbstbewusste, gebildete Mädchen. Wenn sie ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass diese als Ritual normalisierte Gewalt Ursache für lebenslanges Leiden ist, dann werden sie dafür sorgen, dass ihre eigenen Töchter das nicht erleben müssen. Daher baut das Kinderhilfswerk ganz bewusst Schulen in den ländlichen Regionen Malis und fördert mit Nachdruck die schulische Ausbildung von Mädchen.

Frauenrechtsgruppen wie APDF sind Teil einer Zivilgesellschaft, die in Mali für ein selbstbestimmtes Leben der Mädchen kämpft. Wir fördern mit Ihren Spenden dieses Engagement direkt und ohne Umwege – gerade in Krisenzeiten!

Jetzt spenden!

Dieser Artikel wurde verfasst von Judith Pirhofer und Jasmin Neumann (KHW).


Verwendete Quellen (alle zuletzt abgerufen am 04.02.2022)

1. Fact Sheet der Weltgesundheitsorganisation

2. Bundeszentrale für politische Bildung:

3. Begriffsdefinition Terre des Femmes

4. UNICEF

5. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

6. Terre des Femmes/Beweggründe

7. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

8. Terre des Femmes/Mali

9. Terre des Femmes/Ausbreitung

10. Ärzteblatt 

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